Vor einiger Zeit habe ich beschlossen, beim Sternchen-Sprech (“Gendern”), wie es seit Kurzem in den Medien zu hören und sehen ist, nicht mitzumachen.
Ich beanspruche für mich im Gegenteil diejenige Bezeichnung, Funktion, Eigenschaft, Rolle oder Tätigkeit, die mich am besten beschreibt (egal ob sie grammatikalisch “männlich” ist). So, wie es im Englischen und in weiten Teilen der Welt offenbar problemlos funktioniert. Warum? Weil ich der Meinung bin, dass, wenn wir die Bedeutung des Geschlechts einer Person künstlich immer wieder in den Fokus setzen, genau das Gegenteil von dem passiert, was wir eigentlich erreichen wollen.
Äpfel und Birnen
Zur Verdeutlichung: Wenn ich Karneval als Apfel “gehen” möchte, bin ich auf der Session der Apfel (nicht die Apfelin). Wenn Heinz Schmidt als Birne “gehen” möchte, ist er die Birne (nicht der Birner). Obst sind und bleiben wir beide. Und das ist gut so. (Wir erleben hier übrigens gerade einen der seltenen, zielführenden Apfel-Birnen-Vergleiche ;-).) Wir sollten nicht jeden generischen Unterschied der Sprachkonstrukte auf uns als Mensch beziehen. Die Deutsche Sprache und ihre Grammatik ist nicht immer logisch – auch das sollten wir bedenken. Sie ist etwas Gewachsenes, Fehlerhaftes und letztlich nur Mittel zum Zwecke der Kommunikation. Kein Naturgesetz.
Aua
Als Mensch, der mit Sprache und Text sehr eng verbunden ist, rollen sich mir die Zehnägel*Innen auf, wenn ich die von einer (zurzeit noch) Minderheit als „politisch korrekt“ und damit auch letztlich undemokratisch gesetzten Wortkreationen in Tagesschau, Radio und Kulturmagazin höre. Es stört mich und ich fühle mich als Frau damit nicht wohl – als Mensch auch nicht. Mein Gefühl: So geht es vielen. Das deckt sich auch mit den einschlägigen Statistiken: Die überwiegende Mehrheit (insgesamt 65%) lehnt die Nutzung der Gendersprache in Presse, Radio und Fernsehen sowie bei öffentlichen Anlässen voll und ganz (36%) oder eher (29%) ab (Quelle: Statista 2021). In einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap im Auftrag des WDR im Jahr 2023 zeigt sich, dass fast zwei Dritteln der Befragten gendergerechte Sprache nicht wichtig ist (sogar mehr als in einer älteren Umfrage vor zwei Jahren). Gefragt nach ihrer Haltung zum Gendern gaben 41 Prozent der Befragten an, dass das Thema für sie gar nicht wichtig sei. 2020 waren es 30 Prozent. Sehr wichtig war es nur 16 Prozent (2020: 19 Prozent). (Quelle: WDR)
Natürlich darf sich Sprache verändern, kulturelle Färbungen bekommen, “jünger” werden – fühl’ ich voll, auch wenn manches davon abfuckt, aber ich mag’s in sprachlichen Dingen einfach lieber naturgewachsen und – Mashallah – eben so, wie uns die Schnauze gewachsen ist. Sternchen-Sprech ist mir zu cringe. (Wer über Teile der letzten beiden Sätze gestolpert ist, erkundige sich einfach bei einem jungen Menschen – er wird sicher gern übersetzen).
Auch verstehe ich noch nicht ganz, anhand welcher Kriterien von den Sternchen-Sprechern festgelegt wird, welche männliche Bezeichnung besternt wird und welche nicht. So vermisse ich in der Berichterstattung beispielsweise die Vergewaltiger*Innen, die Attentäter*Innen, die Terrorist*Innen, die Panzerknacker*Innen und die Ärsch*Innen.
Überzeugung kommt von überzeugen
In der Vergangenheit habe ich mich oft (vielfach unbewusst und ohne genug zu reflektieren) den Diktaten anderer unterworfen – gegen meine eigentliche Überzeugung. Das ist mittlerweile anders. Als völlig freier Autor habe ich mich daher entschieden, für mich jede Bezeichnung, die der Einordnung und Beschreibung von Rollen und Tätigkeiten in ihrer ursprünglichen (grammatikalisch oftmals männlichen) Form dient, zu beanspruchen, so wie es mir gerade passt. Danach schaue ich, wie es mir (und vielleicht auch anderen) damit geht und lasse mich langfristig gerne von besseren Argumenten als den meinen überzeugen. Bisher habe ich nur noch keine dieser Art gefunden. Das Gendern bleibt für mich unnötig und überflüssig.
Handeln statt sprechen und schreiben
Die wertende Zuschreibung von Eigenschaften und Assoziationen findet für mich nicht am Ende eines Wortes, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen statt. Für mich ist das Frausein auch nicht besonders erwähnenswert. Es sollte eben in vielen Bereichen (zum Beispiel beruflichen oder weltanschaulichen) absolut KEINE Rolle spielen, welches Geschlecht ich habe. Es ist für mich auch nicht ok, dass jemandem, der das *Innen nicht mitliest, ein mangelndes Gleichberechtigungsbestreben unterstellt wird. Ein solches lässt sich nicht an der benutzten Wortendung ablesen, sondern am alltäglichen Handeln. So kann *Sternchen-Sprech meiner Meinung nach sogar dazu führen, dass (M)man(n) sich schnell darauf ausruht und meint, damit sei es doch nun getan mit der Gleichberechtigung. Das ist es nicht. Das lenkt doch letztlich nur vom eigentlichen Problem ab. Was nutzt uns das Sternchen im Arbeitsvertrag, wenn wir weiblichen Mitarbeiter 20 Prozent weniger Gehalt bekommen als unsere männlichen Kollegen? Was, wenn Vati weiterhin immer nur im Haushalt “hilft”, anstatt genau wie Mutti den Haushalt “macht” und sich auch dafür verantwortlich fühlt.
Gemeinsamkeiten sehen
Ein weitere Aspekt: Je mehr Gewicht wir dem Unterschied geben, desto schwerer wiegt er im Vergleich zu den Gemeinsamkeiten. Und gerade die sind es meiner Meinung nach, um deren Fokussierung wir uns bemühen sollten – nicht nur in Genderfragen – in allem, was das soziale Miteinander betrifft. In Zeiten wie diesen umso mehr.
Gelassen bleiben
Und wir sollten insgesamt gelassener bleiben – oder wieder werden. Im Zweifel warten wir einfach ein paar Jahzehnte oder Jahrhunderte und schauen, was sprachlich passiert.
Sprich: Wenn jemandem das *Innen in seinem persönlichen Sprachgebrauch am Herzen liegt: bitteschön. Wenn es ihm egal ist, dass es mich nervt: sei’s drum. Er möge nur ebenso tolerant sein und akzeptieren, besser noch respektieren, dass ich, um eine andere mögliche Herangehensweise zu leben, beschlossen habe, ganz selbstverständlich Autor, Blogger und Mensch zu sein – nicht AutorIn, BloggerIn oder gar MenschIn. Aufmerksamen Lesern wird sicher aufgefallen sein, dass ich dies erst in den neueren Auflagen meines Buches konsequent umgesetzt habe.
geschlechtergerechte Sprache
Geschlechtergerecht kann ich trotzdem schreiben und sprechen, wenn ich möchte, oder wenn es wichtig ist, um Missverständnisse zu vermeiden. Ich habe in diesem Zusammenhang im Netz ein Beispiel gefunden, das zeigen soll, warum es wichtig sei, eine weibliche Form eines Wortes (hier: Chirurg -> Chirurgin) zu nutzen. Die Geschichte geht so:
Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen Unfall, bei dem beide verletzt werden. Sie werden in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein bekannter Chirurg arbeitet. Die Operation des Jungen wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“
Quelle: www.genderdings.de
Dazu wird gesagt:
“Verwirrt? Der Chirurg in der Geschichte ist eine Chirurgin. Wenn zum ersten Mal das Wort „Chirurg“ fällt, denken die meisten aber erst einmal an einen Mann im weißen Kittel. (Natürlich könnte der Junge in der Geschichte auch zwei Väter haben.) Dieses und andere Beispiele zeigen: Sprache hat einen Einfluss darauf, was wir uns vorstellen und damit auch darauf, was wir uns vorstellen können und was wir für normal halten. Ursprünglich waren Frauen in der männlichen Form auch gar nicht mitgemeint. Die kommt nämlich aus einer Zeit, in der Frauen viele Berufe nicht ergreifen durften, in der es also tatsächlich keine Chirurginnen gab. Das hat sich geändert – nur unsere Sprache sendet noch immer die alten Signale. Es sind eben nicht alle #mitgemeint!”
Quelle: www.genderdings.de
Die Argumentation ist für mich nicht überzeugend. Wo es darauf ankommt, den Geschlechtsunterschied in Texte oder Sprache einzubeziehen, muss man nicht zwangsläufig Sternchen-Sprech anwenden oder die verweiblichte Form eines Wortes nutzen, um ein Umdenken zu erreichen. Die Wirkmechanismen von Sprache greifen viel tiefer. Man kann (und sollte) das Umdenken selbst fördern, um die hinter einem Wort liegenden Assoziationen und Vorstellungen von “Normalität” zu verändern, was meiner Meinung nach das Nachhaltigere und “Gesündere” wäre.
Im oben genannten Beispiel könnte ich also auch sagen: “[…] in dem ein bekannter weiblicher Chirurg arbeitet.” Oder ich könnte sagen: “[…] in dem die bekannte Frau Doktor Dings als Chirurg arbeitet.” Oder: […] in dem die sehr bekannte Mutter des Jungen die chirurgische Abteilung leitet.”
So schaffen wir mittel- und langfristig andere Lesegewohnheiten, neue Eindrücke und damit eine offenere Vorstellung von “Normalität”. Außerdem: Wie der Autor richtig bemerkt: Es kann doch sein, dass der Junge zwei Papas hat. Und wir wollen doch nicht die überholten, tradierten Verständnisse von Familie als “Mutter – Vater – Kind” durch Sprachkonstrukte und die damit verbundenen Vorurteile nähren, oder? 😉